Historische Industriearchitektur gehört heute zu den am meisten bedrohten Denkmälern. Im niederösterreichischen Industrieviertel, an der Wiege der österreichischen Industrialisierung, stehen noch so manche Zeugen – oder sollte man sagen: Reste – einer einst reichen Industriekultur, vieles davon steht leer und verfällt zusehends. Erst vor wenigen Wochen wurde ein Teil der weltberühmten Arbeitersiedlung Marienthal Opfer des Abrisses (vgl. IDMS-Meldung vom 21. Mai), nun scheint ein weiteres Industriedenkmal akut bedroht: die ehem. Spinnerei in Teesdorf. Das noch erhaltene Hauptgebäude der Fabrik mit seinem markanten Wasserturm wurde 1906-10 als früher Stahlbetonskelettbau nach Plänen des bedeutenden Industrieplaners Bruno Bauer errichtet. Der Bau ist nicht nur ein erstrangiges Beispiel für die Anfänge des modernen Industriebaus (und damit des modernen Bauens überhaupt) in Österreich, er ist zugleich Wahrzeichen der Gemeinde Teesdorf und letztes greifbares Zeugnis dessen über 200jähriger Tradition als Industriestandort. Im Jahr 1803 gegründet, prägte "die Fabrik" das Schicksal der Gemeinde. Darüber hinaus haben zwei Ereignisse rund um die Teesdorfer Spinnerei auch übergeordnete kulturgeschichtliche Bedeutung: 1856 kam es hier zur ersten Gründung einer Arbeiter-Konsumgenossenschaft. Und von 1906-26 war Hermann Broch, später als Literat einer der bedeutendsten Romanautoren des 20. Jahrhunderts, Assistenzdirektor (bzw. Geschäftsführer) der von seinem Vater erworbenen Fabrik.
An Hermann Broch erinnern in Teesdorf ein Denkmal und ein kleines Museum, das im Gemeindeamt untergebracht ist. Die Stätte seines Wirkens aber, die Fabrik, harrt heute einer ungewissen Zukunft. Seit die Spinnerei 1993 ihre Pforten geschlossen hat, sind die flächenmäßig größten Teile der Fabrik – darunter die ältesten Bauteile aus dem frühen 19. Jahrhundert und die Arbeiterwohnhäuser – 1997 abgerissen und neu bebaut worden. Der Eigentümer des Areals, die Linz Textil AG verkaufte großteils an Wohnbaugesellschaften, die auf dem Gelände Reihenhäuser errichteten. Das ehem. Herrenhaus, in dem die Spinnerei-Verwaltung untergebracht war, wurde erst kürzlich wenig behutsam in ein Wohnhaus umgebaut. Gleichzeitig wurde das ehem. E-Werk (Kesselhaus) der Fabrik, das zeitgleich mit dem Hauptbau errichtet wurde und mit einer bemalten Jugendstildecke (einer – lt. Gerhard A. Stadler – "bemerkenswerten Rarität") versehen war, dem Erdboden gleich gemacht. Zu befürchten steht, dass auch dem mittlerweile stark heruntergekommenen Hauptbau dieses Schicksal droht, zumal dem Vernehmen nach Teesdorf´ Bürgermeister einem Abriss nicht mehr negativ gegenüber steht. In der Vergangenheit geäußerte Absichten und Pläne, das Fabriksgebäude in die Neubebauung zu integrieren und zur Atriumwohnanlage umzubauen, scheinen ad acta gelegt. Dazu kommt, dass der Denkmalstatus des Gebäudes derzeit offenbar ungeklürt ist.
In Felixdorf wurde erst kürzlich die ebenfalls der Linz Textil gehörende Spinnerei samt ihrer historischen Bauteile abgerissen, die Teesdorfer Fabrik mit ihrer einmaligen architektonischen und historischen Bedeutung darf diesen Weg nicht gehen.
Fotos: Wolfgang Burghart (Initiative Denkmalschutz)
Rückfragehinweis:
Markus Landerer
Mobil-Tel.: 0699 / 1024 4216
Verein ‘Initiative Denkmalschutz’
Streichergasse 5/12
1030 Wien
ZVR-Nr.: 049832110
Literatur:
– König, Doris: Die Baumwollspinnerei in Teesdorf/Niederösterreich. Historische Analyse und Revitalisierung zu einem Kommunikationszentrum. Diplomarbeit (TU Wien), Wien 2000
– Gerhard A. Stadler: Das industrielle Erbe Niederösterreichs. Geschichte – Technik – Architektur. Wien 2006, S. 777-780
– Wehdorn, Manfred und Georgeacopol-Winischhofer, Ute: Baudenkmäler der Technik und Industrie, Band 1, 1984, S. 232f.
– Dehio Niederösterreich – Südlich der Donau (Hrsg. Bundesdenkmalamt), Teil 2 (M–Z), 2003, S. 2312f..
Links:
– Architekt Bruno Bauer (Biographie und Werkverzeichnis)
– Baumwollspinnerei Teesdorf (auf: www.abenteuer-industrie.at)