1060_Naschmarkt

Wiener Naschmarkt, Samstag, 8. September 2012

Wiener Naschmarkt

Der Wiener Naschmarkt ist nicht nur der traditionsreichste Viktualienmarkt der Stadt, sondern ebenso beliebter “Spielplatz” abenteuerlicher Spekulationen. Richard Weihs, Künstler und engagierter Bürger dieser Stadt, weiß um die vielen “Angriffe” auf den Markt, die er zum Teil mit Erfolg abwenden konnte. Doch was von dem einstmals weltstädtischen Flair dieses Viertels der Wienzeile noch erhalten geblieben ist, wird er uns bei einem Spaziergang durch`s Grätzel zeigen, Mutationen inklusive.

Anmeldung erforderlich.

Ort: Vis á vis Haupteingang U4-Station Kettenbrückengasse, 1060 Wien

Zeit: 10:00 Uhr

Für Mitglieder der Initiative Denkmalschutz: 8 Euro (Spende)
Für Nicht-Mitglieder: ab 20 Euro (Mitgliedsbeitrag, erste Führung gratis)

Naschmarkt-Impressionen

Über den verantwortungslosen Umgang mit Wiens kulturellem Erbe

Seit 43 Jahren wohne ich an der Linken Wienzeile – direkt beim Nachmarkt. Als ich als Kind hier hergezogen bin, war er noch weit größer als er jetzt ist: Damals erstreckten sich die Stände in vier Reihen von der Sezession bis zur Joanelligasse, daran schloss der „Landparteienplatz“ vulgo Bauernmarkt an. Auch in den Geschäftslokalen der umliegenden Häuser hatten sich zahlreiche Obst- und Gemüsegroßhändler angesiedelt.

1972 wurde der Großmarkt jedoch nach Inzersdorf abgesiedelt – und auch der restliche Teil des Naschmarktes sollte nach dem Willen der autofreundlichen Kommunalpolitiker verschwinden: Anstelle des Marktes war eine sechsspurige Stadtautobahn durch das Wiental geplant. Diese sollte dann nach Karlsplatz und Heumarkt auch gleich noch Stadtpark und Augarten durchqueren. Eine wahrlich durchschlagende städtebauliche Großplanung!

Vom Naschmarkt wären nach diesen Plänen lediglich drei Blumenstandln beim Theater an der Wien übrig geblieben. Aber nicht nur an Blumengrüße für gefeierte Schauspielerinnen hatten die umsichtigen Stadtplaner gedacht – sie zeigten auch ein Herz für Fußgänger: Für diese waren mehrere Brücken über die Autobahn vorgesehen, damit sie lebenden Fußes vom sechsten in den vierten Bezirk gelangen konnten…

Die Bevölkerung legte sich jedoch undankbarerweise quer. Die Proteste waren dermaßen massiv, dass die Stadtregierung 1975 ein zehnjähriges Moratorium verkündete – und zehn Jahre später hätten derartige Pläne nur mehr homerisches Gelächter erregt. Zwei Teilstücke des verhinderten Jahrhundertprojektes wurden dennoch verwirklicht: Der autogerecht verschandelte Karlsplatz und (auf intensives Betreiben des damaligen Bautenministers Sekanina) die Brigittenauer Brücke über die Donau.

Aber auch am Naschmarkt waren die treu sorgenden Stadtväter trotz ihrer herben Niederlage nicht untätig: Die – mittlerweile denkmalgeschützten – historischen Marktstände auf dem heutigen Flohmarktgelände wurden geschleift: Hier sollte ein 158 Meter langes mehrstöckiges Parkhaus errichtet werden. Aber auch dieses zukunftsträchtige Bauwerk wurde letztendlich nicht gebaut.

Zum Ausgleich wurde dann ein großer Teil der beiden am Rand des Marktes gelegenen Standreihen von Baggern demoliert, um dort kostbare Parkplätze anzulegen. Ironie des Schicksals: Jahrzehnte später wurde an der Linken Wienzeile der mühsam gewonnene Parkraum gastronomischen Glaskobeln geopfert. Dies hat sich auch bitter gerächt: Die hochmotorisierten Gäste dieser „Bobo-Aquarien“ müssen nun viel Zeit investieren, um ihre imposanten Geländefahrzeuge in Sichtweite parken zu können.

Die nicht minder imposanten Entlüftungsanlagen auf den Flachdächern dieser (oft unter höchst undurchsichtigen Umständen vergebenen) gastronomischen Goldgruben setzen einen höchst aparten Gegenakzent zu den das Bild des Marktes prägenden Tonnen- und Kuppeldächern. Die logische Fortsetzung eines richtungsweisenden Trends aus den Achtzigerjahren: Damals wurden etliche der alten Stände warm abgetragen, um sie in flachbedachter Billigbauweise neu errichten zu können.

Nach einer Generalsanierung in den Neunzigerjahren blühte der Markt zusehends auf. Die meisten der Stände waren mittlerweile von Einwandererfamilien übernommen worden. Allerdings mussten in der Folge immer mehr traditionelle Viktualienstände weitaus gewinnträchtigeren Gastronomiebetrieben weichen. Heute besteht der Markt zu einem guten Drittel aus derartigen Lokalen und auch viele der verbliebenen Stände verfügen über mehr oder weniger große Imbiss-Bereiche.

Der größte Anschlag auf den Markt seit den unseligen Autobahn-Plänen erfolgte im Jahr 2005. Die SP-Bezirksvorsteherin Kaufmann beschloss unmittelbar nach gewonnener Wahl mit Hilfe von VP und FP, ein mehr als zwanzig Jahre altes Grotten-Projekt wiederzubeleben: Die Errichtung einer riesigen Tiefgarage für fast 400 Autos in der Wienfluss-Einwölbung unter dem Markt. Vier gewaltige Ein- und Ausfahrtsrampen hätten für die Immofinanz-Tochter WIPARK am und beim Markt errichtet werden sollen. Entlang der Linken Wienzeile waren neun Belüftungstürme geplant, durch welche die Abgase der Garage in den Markt geblasen worden wären.

An der Durchkreuzung dieser tieffliegenden Pläne war ich nicht ganz unmaßgeblich beteiligt. Unter anderem organisierte ich ein Prominentenkomitee, in dem über fünfzig bekannte Persönlichkeiten gegen die Garage Stellung bezogen – von Franzobel und Josef Hader bis zu Erika Pluhar und Robert Menasse. Eine schwer verärgerte Bezirkspolitikerin drohte mir mit einer Klage und bezeichnete mich öffentlich als „armen, oft von grenzenlosem Hass getriebenen Teufel“. Umsonst: Sie musste ihr unrühmliches Projekt im Jänner 2009 auf Weisung von oben abblasen – aus „technischen Gründen“…

Technische Gründe wurden auch für die brutale Demolierung der Jugendstil-Kandelaber zu beiden Seiten des Naschmarkts ins Treffen geführt: So wie schon am Ring wurden statt der schön verzierten Kulturdenkmäler kanalrohrartige Masten aufgestellt, die für die MA 33 den unschätzbaren Vorteil haben, von oben bis unten mit lukrativen Plakatflächen verziert werden zu können. Das historische Erscheinungsbild des Marktes wurde durch diese unsensible Vorgangsweise stark in Mitleidenschaft gezogen. Und trotz heftigster Kritik von Bundesdenkmalamt, Kunsthistorikern und Medien setzten die städtischen Kulturbanausen ihr Zerstörungswerk völlig unbeeindruckt an den Kandelabern am Flohmarktgelände fort.

Aber das einstmals weltstädtische Flair wird nicht nur durch rohe Eingriffe am Marktgebiet selbst systematisch ruiniert – auch in seinem Umfeld sorgen schwere Bausünden für die nachhaltige Verunstaltung des historischen Ambientes. Zwar konnte ich gemeinsam mit vielen anderen engagierten AnrainerInnen die Errichtung eines Hochhauses durch die BAI Bauträger Austria Immobilien GmbH hinter der U4-Station Kettenbrückengasse vorläufig verhindern. Aber etliche monströse Dachaufbauten entlang des Marktes wurden vom hohen Magistrat anstandslos genehmigt.

Derzeit präsentiert sich der Naschmarkt als riesige Baustelle. Die neuerliche Generalsanierung wird zwar zu einer spürbaren Verbesserung der Infrastruktur führen, für das ästhetische Erscheinungsbild des Marktes ist aber leider nicht viel Gutes zu erwarten. So soll die weithin sichtbare Einzäunung des neuen Müllplatzes mit völlig unpassendem Industrie-Lochblech ausgeführt werden: Hauptsache billig. Und schon jetzt wird der Markt von zahlreichen neuen Plakatflächen auf Lichtmasten und Schaltkästen gesäumt. Aber dort lässt sich ja auch trefflich plakatieren: „Wien ist anders.“

Richard Weihs ist Autor, Musiker und Kabarettist. Mit der Bürgerinitiative Denzelgründe erkämpfte er ab den späten 1970er-Jahren den „Alfred-Grünwald-Park“  beim Naschmarkt – den zweitgrößten Park des sechsten Bezirks. In den frühen 1980er-Jahren war er Mariahilfs erster grün-alternativer Bezirksrat. Von 2000 bis zu seinem Parteiausschluss im Jahr 2010 war er Bezirksrat der Wiener Grünen.